18. Juni 2021
In den letzten beiden Jahrhunderten hat eine nahezu perfekte Industrialisierung stattgefunden – immer strebend nach Kostenoptimierung, Zeiteinsparungen und Qualitätssteigerungen. Fest steht heute aber vor allem eins: Unser privates und wirtschaftliches Handeln geht einher mit einem zu hohen Ressourcenverbrauch. Der Tag, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das Angebot bzw. die Kapazität der Erde zur Reproduktion überstiegen hat, trat Anfang Mai bereits ein. Dabei ist nachhaltige Produktion möglich.

Die Branche Werkzeugbau transformiert sich bereits erfolgreich vom handwerklichen über den industriellen bis hin zum digital vernetzten Werkzeugbau. Industrie 4.0-Anwendungen sind dabei die zentralen Voraussetzungen, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Der Werkzeugbau der Zukunft ist daher digital vernetzt und nachhaltig. Hieran knüpfte Dr. Christoph Kelzenberg in seinem Themenimpuls-Highlight am 21. Mai 2021 an und erläuterte, wie Nachhaltigkeit im Werkzeugbau aussehen kann.

Was bringt eine nachhaltige Werkzeugherstellung? – 6 Potenziale

Potenzial 1

Durch internationale Wettbewerber schwer imitierbare Differenzierung

Potenzial 2

Sicherstellung zukünftiger Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsanforderungen bei Kundenanfragen​

Potenzial 3

Ein leichterer Zugang zu relevanten Kapitalgebern

Potenzial 4

Möglichkeiten für neue Leistungsangebote

Potenzial 5

Mittelfristige Kosteneinsparungen im Bereich Energie und Material

Potenzial 6

Gesteigerte Attraktivität für Mitarbeitende​

Was sowohl der Werkzeugbau als auch die gesamte Serienproduktion brauchen, um diese Potenziale ausschöpfen zu können, ist eine Produktionswende. Denn das kapital- und ressourcenintensive Produktivitätsdenken wird zunehmend vom Zukunftsbild einer stärker ökologisch denkenden Gesellschaft überholt. Neben finanziellen Aspekten müssen auch Themen wie Umwelt, Sozialwesen und Unternehmenssteuerung betrachtet werden. Während sich der Werkzeugbau derzeit noch von den Folgen der Corona-Pandemie erholt, wird die Branche zukünftig auf Nachhaltigkeitsanforderungen – in allen 3 Dimensionen des Nachhaltigkeitsbegriffs – reagieren müssen.

Was wird bei Nachhaltigkeit betrachtet? – 3 Dimensionen

Ökologie


Ökologische Nachhaltigkeit bezeichnet den rücksichtsvollen Umgang mit den vorhandenen (natürlichen) Ressourcen und der Umwelt. Unternehmen, die ökologisch nachhaltig handeln, verhindern Verschmutzungen von Wasser und Luft, reduzieren den Energie- und Materialbedarf, etablieren ein Abwasser- und Abfallmanagement, reduzieren Emissionen, berücksichtigen die Auswirkungen der Produktnutzung und gewährleisten darüber hinaus auch Biodiversität.

Ökonomie


Ökonomische Nachhaltigkeit fokussiert die Maximierung des Ertrags bei gleichzeitiger Umweltschonung. Ein ökonomisch nachhaltiges System ist fähig, kontinuierlich Güter und Dienstleistungen zu produzieren und gleichzeitig Ressourcen zu schonen sowie Ungleichgewicht zu vermeiden. Ökonomisch nachhaltige Unternehmen gewährleisten ihr langfristiges Bestehen am Markt und maximieren dabei ihr gesamtes Kapital, bestehend aus Sach-, Human- und Naturkapital.

Soziales


Soziale Nachhaltigkeit umfasst die bewusste Organisation von sozialen und kulturellen Systemen. Sie beschäftigt sich mit der Version eines menschenwürdigen Lebens und beinhaltet z. B. die Verteilung gesellschaftlicher Belastungen oder Chancengleichheit.​ Sozial nachhaltige Unternehmen etablieren das Verständnis, dass Mitarbeitende das wichtigste Asset sind, schaffen Transparenz bei Entscheidungen und gewährleisten Einflussmöglichkeiten.

Stakeholder verlangen sowohl eine gesteigerte Öko-Effektivität, sprich die Reduktion der absoluten Umweltbelastung, als auch eine gesteigerte Sozio-Effektivität, also die Reduktion negativer sozialer Auswirkungen. Das alles vor dem Hintergrund der traditionellen ökonomischen Herausforderung, ein wirtschaftlich gut aufgestelltes Unternehmen mit rentablen Produkten und Dienstleistungen betreiben zu müssen. Das scheint im Widerspruch zueinander zu stehen. Dennoch muss die Symbiose dieser drei Aspekte das Ziel der Werkzeugbau-Branche sein – sowie aller produzierenden Unternehmen, die nachhaltig agieren wollen.

Wie sieht das Zielbild eines nachhaltigen Werkzeugbaus aus?

Für einen nachhaltigen Werkzeugbau sind zahlreiche Handlungsfelder zu adressieren, bei deren Umsetzung die Anforderungen der Stakeholder sowie die Zielgrößen der Öko- und Sozio-Effizienz berücksichtigt und Umsetzungserfolge kontinuierlich bewertet werden müssen. Die Umsetzung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen erfolgt in den Bereichen „Leistungsspektrum“, „Ressourcen“, „Prozesse“ und „Mitarbeitende“. Für jeden Bereich existieren konkrete nachhaltige Lösungen.

Leistungsspektrum

Hierzu zählen die nachhaltige Werkzeugauslegung, ressourcenschonende Werkzeugnutzung sowie nachhaltige Dienstleistungen​ und Geschäftsmodelle. Werkzeugbaubetriebe sollten z. B. (Re-Use-)Konzepte in Betracht ziehen, mit denen Werkzeuge bzw. Werkzeugkomponenten recycelt oder wiederverwendet werden können.

Ressourcen

Eine gewisse Prozessüberwachung, weil beispielsweise entsprechende Sensorik in Werkzeugen vorhanden ist, ermöglicht das Sparen von Ressourcen im Produktionsprozess. Auch der Bezug von Ökostrom oder die Mitgliedschaft in Energie-Communities hilft, Verschwendungen von Ressourcen zu reduzieren.

Prozesse

Viele produzierende Unternehmen, vor allem die Automobilindustrie, haben sich nachhaltigem Schaffen verpflichtet. Sie werden zukünftig ausschließlich mit ebenso nachhaltig agierenden Lieferanten zusammenarbeiten. In der Auftragsabwicklung können Werkzeugbauunternehmen daher sowohl auf organisatorischer als auch auf technologischer Ebene Nachhaltigkeit beweisen. Der Einsatz von Additive Manufacturing-Technologien in Kombination mit konventionellen Werkzeugbau-Verfahren bietet einige Nachhaltigkeitsvorteile. Und Unternehmen, die bspw. ausschließlich mit lokalen Partnern zusammenarbeiten, sparen Ressourcen in der Prozessabwicklung.

Mitarbeitende

Nur Unternehmen, die diesen Bereich berücksichtigen und u.a. mit attraktiven Programmen zur Altersvorsorge, Zusatzleistungen, Arbeitssicherheitsmaßnahmen und ergonomischen Arbeitsplätzen zur langfristigen Zufriedenheit der Mitarbeitenden beitragen, erfüllen die Dimension der sozialen Nachhaltigkeit.

Industrie 4.0-Anwendungen unterstützen gezielt dabei, nachhaltige Differenzierungsmerkmale für den Werkzeugbau zu schaffen​. Hierunter fallen bspw. die datenbasierte Maximierung der Auslastung von Fertigungsressourcen, die datenbasierte Identifikation von werkzeugspezifischen Re-Use-Potenzialen und die datenbasierte Ermittlung von Reduzierungsmöglichkeiten der CO2-Belastung. Ein digital vernetzter Werkzeugbau wird damit zur Voraussetzung für einen nachhaltigen Werkzeugbau.

Wie kann ein nachhaltiger Werkzeugbau realisiert werden? – 5 Schritte

Schritt 1

Aufstellung einer CO2-Bilanz für das Unternehmen und die Werkzeuge über den gesamten Lebenszyklus

Schritt 2

Identifizierung von Handlungsfeldern zur Steigerung der Nachhaltigkeit in der Wertschöpfung

Schritt 3

Implementierung eines Reportings der emittierten CO2-Emissionen bei der Werkzeugherstellung

Schritt 4

Identifizierung von Leistungssystemen zur Steigerung der Nachhaltigkeit der Kunden

Schritt 5

Vollständige Betrachtung der Nachhaltigkeitsdimensionen entlang des gesamten Produktlebenszyklus

Die Grundlagen und Technologien gibt es. Trotzdem setzen noch zu wenig Unternehmen ein emissionsloses und entsprechend nachhaltiges Handeln um. Was die Branche braucht, ist ein Umdenken. Auch, weil Nachhaltigkeit enorme Differenzierungspotenziale im internationalen Wettbewerb birgt. Das Thema Nachhaltigkeit wird die gesamte Branche langfristig begleiten – wichtig ist eine strategische Auseinandersetzung mit dem Leitbild daher bereits heute!

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Verhindert das heutige Paradigma der industriellen Produktion Nachhaltigkeit und Innovation? Kann es eine Produktionswende geben? Welche Prinzipien sind in der Produktionswende anders? Was bedeutet die FESG-Bewertung in der Praxis? Anhand dieser Fragen leitet Prof. Wolfgang Boos die Notwendigkeit einer Neudefinition des Produktivitätsbegriffs – hin zu mehr Nachhaltigkeit – her.

Zum White Paper (PDF)

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