20. Oktober 2021

In den letzten Jahrzehnten hat der Werkzeugbau vielfach erfolgreich die eigenen Prozesse industrialisiert und das Thema Automatisierung vorangetrieben. Doch der Grad der operativen und technologischen Exzellenz muss weiter wachsen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. So können beispielsweise Unternehmen bereits vorhandene Daten so nutzen und einsetzen, dass ein adaptiver Werkzeugbau entsteht, der auf Veränderungen im Unternehmen oder im Umfeld schnell reagieren kann. Der Weg zu einem „smarten Werkzeugbau“ ist für viele Unternehmen noch lang. In seinem Themenimpuls-Highlight gab Dr.-Ing. Kristian Arntz am 17. September aber bereits einen Einblick in aktuelle Forschungsaktivitäten, die zeigen, dass das Beschreiten dieses Weges möglich ist. Er skizzierte, welche Voraussetzungen Werkzeugbaubetriebe dafür in Zukunft erfüllen müssen.

Das langfristige Ziel? Wesentliche Kennzahlen genauer prognostizieren und Prozessketten flexibler auslegen zu können!

Eine flexible Fertigung birgt enorme Potenziale. Doch eine der großen Herausforderungen, Prozessketten flexibler auszulegen, bringt der Werkzeugbau an sich mit. Denn ähnliche Resultate können durch sehr verschiedene Routen erzielt werden. Das klassischste Beispiel hierfür: Die Entscheidung zwischen dem Fräsen und der Senkerosion, zu der sich Werkzeugbetriebe heute aufgrund unterschiedlicher Vorbereitungsprozesse sehr früh festlegen müssen. Wenn nun kurzfristig Engpässe bei vorhandenen Kapazitäten auftreten, kann standardmäßig nicht mehr auf das jeweils andere Fertigungsverfahren ausgewichen werden. Ein Zustand, der mit der fehlenden Verfügbarkeit von relevanten Informationen und der Durchgängigkeit bestimmter Prozesse zusammenhängt. Adaptive Prozessketten können zu einer Minimierung dieser fehlenden Verfügbarkeiten führen, bei deren Umsetzung der Werkzeugbau allerdings fünf großen Herausforderungen begegnet:

    • Die Unikatfertigung, die mit einer sehr hohen Dynamik in der Prozesssteuerung einhergeht.
    • Die hohe Dynamik in der Prozesssteuerung führt dazu, dass es viele verschiedene Prozessketten gibt, die sehr unterschiedliche Wege im Unternehmen gehen.
    • Daten und Systeme sind immer noch sehr heterogen, das heißt, sie basieren nicht auf einheitlichen Datenmodellen. Prozesse sind oftmals von manuellen Eingriffen geprägt.
    • Unpräzise Vorhersagen sorgen dafür, dass Prognose und reales Ergebnis (beispielsweise der Fräszeiten) stark voneinander abweichen.
    • Der demographische Wandel erschwert die Verfügbarkeit hochqualifizierter Mitarbeiter:innen.
Die WBA strebt mit ihren aktuellen Projekten und Forschungsaktivitäten an, Werkzeugbaubetriebe in Zukunft dennoch dazu befähigen zu können, nicht optimal ausgeschöpfte Fertigungs- und Flexibilitätspotenziale und im Zuge dessen ungenutzte Kapazitäten von Maschinen oder sogar verspätete Auslieferungen verhindern zu können. Denn fest steht: Ein alternativer Technologieeinsatz kann bereits heute durch den flexiblen Umgang mit Störprozessen zu einer Aufrechterhaltung der Produktivität und zum Austausch von Technologien innerhalb der Prozesskette führen. Um adaptive Fertigungsprozessketten also in Zukunft erfolgreich erreichen zu können, müssen Werkzeugbaubetriebe zunächst die Ausarbeitung der folgenden vier zentralen Handlungsfelder adressieren:

Handlungsfeld 1: In die Klassifizierung von Werkstücken investieren

Werkstücke aus der Einzel- und Kleinserienfertigung müssen klassifiziert werden, sodass auf empirisches Fachwissen zurückgegriffen werden kann.

Bearbeitungsdatenbanken, die Informationen über Bearbeitungsverfahren bereitstellen, ermöglichen das Bewerten von Bauteilen für bestimmte Fertigungsprozessketten. Diese Informationen über Produkt und Fertigung müssen von Werkzeugbaubetrieben stärker genutzt werden. Dadurch könnten Informationen, die heute üblicherweise auf den 2D-Zeichnungen der Bauteile enthalten sind, auf die 3D-Modelle übertragen und nutzbar gemacht werden. Ein wichtiger Fortschritt, denn 2D-Zeichnungen sind typischerweise nur von Menschen interpretierbar. Zudem kann feature-basiertes Arbeiten – ein Ansatz, der bei prismatischen Formen schon heute gut funktioniert – dazu führen, höhere Automatisierungsgrade zu erreichen, was gerade bei Freiformflächen wichtig ist. All dies führt zu einer bauteilbezogenen Informationsverfügbarkeit, auf der weitere Schritte aufbauen.

Handlungsfeld 2: Ein strukturiertes Datenmanagement aufbauen

Ein Datenmanagement kann dabei helfen, heterogene Daten zu nutzen und zu verarbeiten.

Standardisierte Verwaltungsschalen können für eine Datenstruktur und so für eine Kommunikation zwischen einzelnen Systemen sorgen. Wenn klar ist, wie Dateninformationen aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens in maschinenlesbare Bereiche zu überführen sind und wie große Datenmengen so reduziert werden können, dass Algorithmen sie lesen und nutzen können, kann das Datenmanagement Vorschläge liefern oder sogar Entscheidungen treffen, welche Prozesskette für die Bearbeitung eines bestimmten Features oder Bauteils die optimale ist. Die wichtige Frage, die sich Werkzeugbaubetriebe stellen müssen, lautet: Welche Informationen können wie beschrieben, wo abgelegt und wie zugänglich gemacht werden? Sprich: Wie lässt sich beispielsweise ein Fräswerkzeug oder die Parametrierung eines Fräsprozesses so beschreiben, dass es nachher von allen beteiligten Systemen gelesen und verstanden werden kann?

Handlungsfeld 3: Einen Algorithmus zur automatisierten Arbeitsplanerstellung entwickeln

Mithilfe einer automatisierten Arbeitsplanerstellung können verschiedene Prozessketten generiert, simuliert und bewertet werden.

Ein erfolgreich etabliertes Datenmanagement zahlt auf die automatisierte Arbeitsplanerstellung ein. Die Idee ist, frühzeitig Simulationen verschiedener Prozessketten anzulegen und diese miteinander zu vergleichen. Der Input besteht aus der Fertigungsumgebung, der Werkstückformalisierung und dem Technologiebündel. Simuliert werden die Generierung alternativer Technologiefolgen, die Auswahl von Fertigungsmitteln und eine Mutation der Prozessketten zur eigenständigen Vollendung. Heraus kommen monetäre Kriterien und normierte Prozessketten-Performances. Die Vielzahl der alternativen Technologiefolgen bietet den Algorithmen die Möglichkeit, die beste vorzuschlagen. Da die Informationsverfügbarkeit so viel höher sein wird – es wurden ja frühzeitig Alternativen berücksichtigt – können die Algorithmen bei einer bereits begonnenen Bearbeitung und in diesem Zuge entstehenden Störungen (bspw. Engpässen) immer noch auf die zweit- oder drittbeste Technologiekette ausweichen.

Handlungsfeld 4: Die Prognosefähigkeit durch technologieübergreifende Bewertung von Prozessketten verbessern

Die Kopplung von modell- und datenbasierten Ansätzen kann langfristig die Prognosefähigkeit erhöhen.

Werkzeugbaubetriebe müssen dafür möglichst früh wissen, welche Prozessdaten sie zur Bearbeitung eines bestimmten Bauteils benötigen und vergangene Abweichungen zwischen Prognose und realem Ergebnis sowie die zur Verbesserung der Prognose eingeleiteten Schritte beobachten. Die Kenntnis über wichtige Abweichungskennzahlen kann zu einer besseren Prognosefähigkeit führen. Für eine praktische Anwendung und zur Vermeidung von Schnittstellenverlusten können zudem physikalische Simulationen im CAD/CAM-Workflow integriert werden. Wenn klassische analytische Modelle (z. B. Maschinensimulationen oder Materialabtragssimulationen) mit datengetriebenen Modellen (z. B. Maschinen- oder Messdaten) gekoppelt werden, kann ein besseres Prozessverständnis erlangt werden. Physikalische Modellierung trifft so auf auf Erfahrungswerten basierende künstliche Intelligenz – eine Kombination, die zu einer höheren Treffgenauigkeit in der Prognose führt.

Werkzeugbaubetrieben muss klar sein, dass sich ein zusätzlicher Planungsaufwand in der Einzel- und Kleinserienfertigung immer in den Kosten des Bauteils wiederfindet – der große Unterschied zur Serienfertigung. In verschiedenen WBA-Projekten erarbeiten wir zurzeit gemeinsam mit Werkzeugbaubetrieben, wie sie den hohen Kosten eines Bauteils dennoch entgegenwirken und ungenutzte Kapazitäten von Maschinen oder verspätete Auslieferungen verhindern können. Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass in Zukunft nur ein smarter Werkzeugbau entstehen kann und die Potenziale adaptiver Fertigungsprozessketten ausgeschöpft werden können, wenn weiterhin in die Ausarbeitung der beschriebenen Forschungsansätze investiert wird.