9. Dezember 2021
Die zukunftsweisenden und wichtigen Themen im Werkzeugbau? Digitalisierung, Nachhaltigkeit und – ein selten diskutiertes, aber dennoch wichtiges Thema – strategische Allianzen. Wer die Branche vorausdenken und erfolgreich die Zukunft beschreiten möchte, muss sich mit allen drei Themen beschäftigen: „Denn das eigentliche Erzeugnis des Werkzeugbaus oder Werkzeugbau plus ein wenig Service reichen morgen nicht mehr aus“, prophezeite Prof. Wolfgang Boos in seinem Themenimpuls-Highlight „Strategische Werkezugbauallianzen“ am 19. November. Kollaborative Arbeit, sowohl im Sinne der Zusammenarbeit von Menschen und Abteilungen als auch der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, gehört zum Werkzeugbauverständnis von morgen mit dazu. Boos beantwortete daher die Frage, wie einzelne Firmen (miteinander) kooperieren, zusammenarbeiten und so eine innovative Fertigung etablieren können.

Es ist weniger das Werkzeug an sich

„Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Werkzeugbau ein neues Verständnis braucht“, erklärte Boos. Worauf er anspielt? Der Werkzeugbau von morgen versteht unter einer innovativen Fertigung nicht mehr nur die einzelnen Fertigungsprozesse, sondern die gesamte Prozesskette – bis hin zum hergestellten Erzeugnis. Es muss das Standardrepertoire des Werkzeugbaus werden, als Generalunternehmer zu agieren, der in allen Prozessschritten individuell auf Kundenwünsche eingeht. Dass die Branche in diesem Zuge über strategische Allianzen sprechen muss, ist nicht neu. Die Vorteile strategischer Allianzen wurden im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder genutzt. Allianzen der jüngeren Vergangenheit zeigen, wie hoch dabei das Potenzial von signifikanten Kostensenkungen, Skaleneffekten, Wissensvermittlungen und Ressourcen-Bündelungen ist.

Auch für den Werkzeugbau sind solche Allianz-Potenziale vielversprechend. „Die Wertschöpfung im Werkzeugbau ist in den letzten 15 Jahren bereits stark gesunken. Lagen wir Anfang der 2000er-Jahre bei 70 bis 80 %, nähern wir uns heute bereits einer Wertschöpfung von nur noch 60 %. Neue Mobilitätskonzepte in der mit dem Werkzeugbau eng verknüpften Automobilbranche sorgen für Ungewissheit und auch die Konkurrenz aus Asien sorgt für einen zunehmenden Wettbewerbsdruck. Die Herausforderungen, die sich daraus ergeben, sind von einzelnen Unternehmen eigentlich kaum zu bewältigen“, alarmierte Boos. „Was wir brauchen, sind eine Steigerung der Innovationskraft, die Entwicklung neuer Geschäftsfelder, eine starke Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten und Kunden, Kostenreduktionen, Wissensaufbau und ein Austausch von Schlüsseltechnologien sowie die Reduktion der Reaktionsgeschwindigkeit.“ Und genau dabei können Werkzeugbauallianzen helfen.

Formen strategischer Allianzen

Horizontale Allianz


Die kooperierenden Unternehmen stehen auf derselben Stufe der Wertschöpfungskette und können so Skaleneffekte, Kosteneinsparungen und den Austausch von Wissen nutzen.

Vertikale Allianz


Die kooperierenden Unternehmen stehen auf unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfung und können dabei ihre Innovationskraft steigern und ihre Innovationsgeschwindigkeit erhöhen.

Diagonale/laterale Allianz


Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen kooperieren miteinander und können dabei eine Qualitätssteigerung und die Erschließung neuer Produktsegmente erreichen.

Was bedeutet das für den Werkzeugbau?

Leitet man die Allianzformen auf den Werkzeugbau und seine typische Organisationsstruktur ab, ergeben sich acht mögliche Allianzformen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass man nicht direkt auf Unternehmensebene Allianzen schmiedet, sondern zunächst in bestimmten Bereichen“, erklärte Boos.

Innovationsallianzen


Bereits in der Produktentwicklungsphase, also einem sehr frühen Zeitpunkt vor der eigentlichen Werkzeugherstellung, können Werkzeugbaubetriebe durch gemeinsamen Ideenaustausch Innovationsallianzen bilden und so dem Kunden einen Mehrwert in der Produktentwicklung bieten. Allianzpartner können sich bei der Überführung einer Idee in den Markt und bei der Grundlagenforschung unterstützen.

Vertriebsallianzen


Im Vertriebsbereich liegt für den Werkzeugbau ebenfalls ein hohes Potenzial in Vertriebsallianzen, da hier die Reaktionsgeschwindigkeit und -fähigkeit in Bezug auf Anfragen erhöht werden kann. Hierbei kann eine zentrale Entität als Anlaufstelle für den Kunden dienen, die dann den idealen Partner aus dem bestehenden Allianz-Netzwerk ermittelt. Gemeinsame Marketing-Aktivitäten oder effizientere Prozesse sorgen zudem für Synergieeffekte.

Beschaffungsallianzen


Beschaffungsallianzen werden im Werkzeugbau zwar nicht oft genutzt, bieten aber eigentlich ein enormes Einsparpotenzial. Eine Umfrage der WBA ergab, dass selbst die Top-Werkzeugbaubetriebe nur in einem beschränkten Umkreis sourcen.

Internationalisierungsallianzen


Eine Markterschließung hängt nicht allein von technischen Fähigkeiten ab: Kundenanforderungen und der Umgang mit diesen sind international divers; internationale Aktivitäten erfordern interkulturelle Kompetenzen. Internationalisierungsallianzen fördern das Verständnis und so die Erschließung neuer Märkte.

Wissensallianzen


Wissensallianzen können für einen Wissenstransfer sorgen und werden eine ganz neue Bedeutung einnehmen. Was zunächst paradox klingt: Wenn ein Problem in einer größeren Community geschildert wird, findet sich oft schneller ein direkter Lösungsansatz. Wissens-Hubs zwischen Unternehmen ermöglichen das Teilen von Expertenwissen und das kollaborative Lernen.

Ausbildungsallianzen


Ausbildungsallianzen können im Bereich der Personalwirtschaft dafür sorgen, dass neue Anforderungen der Automatisierung und des erweiterten Leistungsspektrums vermittelt werden können. So helfen kreative Ausbildungsallianzen dabei, dem Nachwuchs der Branche weiterhin eine gute Ausbildung anzubieten, die Attraktivität des Berufsbildes zu steigern und auch neue Technologien, z. B. 3D-Druck, in Lehrwerkstätten der Allianz anzubieten.

Produktionsallianzen


In Produktionsallianzen können Leistungsumfänge schneller bearbeitet werden – vor allem über mehrere Standorte hinweg. Die Volatilität der verschiedenen Branchen wird in solch einer Allianz ausgeglichen.

Instandhaltungsallianzen


Für die Reduktion von Produktionsausfällen durch schnellen Service oder eine ständige Kompetenzverfügbarkeit können Instandhaltungsallianzen sorgen. Durch Fachkräfte verschiedener Allianzen an verschiedenen Orten kann auch bei einer globalen Kundenbasis eine schnelle Erreichbarkeit garantiert werden.

Erfolgsfaktoren für Allianzen – 6 einfache Regeln können die Zusammenarbeit erleichtern

Strategische Allianzen sind erfolgversprechend, können aber auch scheitern. Gründe hierfür sind zahlreich: Es kann am Marktumfeld und einer damit verbundenen strategischen Abnutzung veränderter Kundenpräferenzen liegen. Auch eine ungeeignete Partnerwahl, zunehmende Rivalität oder schlicht die fehlende Machbarkeit eines Projekts können dazu beitragen. Fehlt bspw. eine Zielspezifität, das Engagement des Top-Managements oder Transparenz und kommen so interne Konflikte auf, sind auch das Gründe für das Scheitern einer Allianz. Werkzeugbaubetriebe, die strategische Allianzen eingehen wollen, sollten diese Gründe sowie die verschiedenen ihnen zur Verfügung stehenden Allianzformen kennen, die eigenen Kompetenzen dabei kritisch bewerten und so eine vorteilhafte Allianzform auswählen. Folgende sechs Regeln sollten eingehalten werden:

Regel 1

Die eigenen Erwartungen an die Allianz kennen

Regel 2

Die Stärken und Schwächen des Allianzpartners kennen

Regel 3

Die Fähigkeiten, Routinen und Kultur des Partners verstehen

Regel 4

Die Motive des Partners für die Allianzbildung ergründen

Regel 5

Die eigene Organisation auf die Zusammenarbeit vorbereiten

Regel 6

In den Aufbau kooperativer Beziehungen investieren

„Strategische Werkzeugbauallianzen sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um sowohl die zukünftigen technologischen Weiterentwicklungen als auch die organisatorischen Herausforderungen wie Ausbildung und Beschaffung bestens zu bewerkstelligen“, resümierte Boos. „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es für einen erfolgreichen Werkzeugbaubetrieb von morgen selbstverständlich sein muss, mit solchen strategischen Allianzen umgehen zu können.“